Tilmann Hollweg im Interview: "Es ist uns sehr wichtig, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen."
Tilmann Hollweg ist seit 2006 LWL-Maßregelvollzugsdezernent.
Herr Hollweg, lesen Sie trotz Ihres Jobs noch Krimis?
Wenn überhaupt, dann nur in Maßen. Und keine düsteren, sondern eher humorvolle Krimis, die auch mal ohne psychisch kranke Täter auskommen. Zum Beispiel die Fälle von Kommissar Kluftinger der Schriftsteller Kobr und Klüpfel.
Krimis und True-Crime-Formate sind heute unglaublich populär. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Kriminalität hat die Menschen schon immer fasziniert. Man denke zum Beispiel an die Theaterstücke von Shakespeare. Was aber neu ist, ist die Flut an Krimisendungen und True-Crime-Formaten auf allen Kanälen.
Die mediale Überflutung hat Folgen: Die „gefühlte“ Kriminalität ist stark gestiegen. Tatsächlich aber ist die Zahl schwerer Sexual- und Gewalttaten in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gesunken.
Wie beeinflussen Filme, Podcasts und Bücher unser Bild von Psychiatrie und Forensik?
Bilder haben eine unglaubliche Wirkung. Zum Beispiel haben Filme wie „Einer flog übers Kuckucksnest“, „Psycho“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ unser Bild von der Psychiatrie und auch von der Forensik stark beeinflusst, obwohl sie stark überzogen sind. Und Bettensäle gibt es bei uns schon lange nicht mehr.
Wie sehen Sie die Akzeptanz von Maßregelvollzugskliniken in der Bevölkerung heute im Vergleich zu 1953?
1953 wurden fast nur in Lippstadt-Eickelborn in einer speziellen Abteilung des damaligen Landeskrankenhauses psychisch kranke Straftäter behandelt. Lange wurde das von außen kaum wahrgenommen. Das änderte sich erst nach einem tragischen Tötungsdelikt Mitte der 90er Jahre. Danach blieb in der Forensik kein Stein auf dem anderen: Sicherheitsvorkehrungen wurden nachgerüstet und vor allem wurde die Therapie stark verbessert. Dadurch sind die Kliniken insgesamt viel sicherer geworden. Trotzdem gibt es weiterhin viele Vorbehalte und auch Ängste in der Bevölkerung – besonders wenn es um neue Standorte für forensische Kliniken geht.
Das Foto zeigt das zukünftige Gelände einer LWL-Maßregelvollzugs-Klinik, die aktuell in Hörstel entsteht.
Wie schaffen Sie in solchen Fällen Akzeptanz?
Wir sind offener geworden, auch gegenüber den Medien. Und wir leisten sehr viel Akzeptanzarbeit – durch Planungsbeiräte, durch Führungen, durch Infoveranstaltungen. So erreichen wir, dass die Menschen verstehen, was da passiert. Es ist uns sehr wichtig, dass wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen.
Warum werden eigentlich immer mehr MRV-Kliniken gebaut?
Hintergrund ist, dass immer mehr suchtkranke und psychisch kranke Menschen zu einer Unterbringung in einer forensischen Klinikverurteilt werden.
Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen schauen die Gerichte genauer hin, ob der Straftat eine psychische Erkrankung oder eine Suchterkrankung zugrunde liegt. Und dann gibt es auch gesetzlich bedingte Fehlanreize: Dadurch hatten wir zum Beispiel eine starke Zunahme suchtkranker Menschen, für die der Maßregelvollzug nicht geeignet war. Dieser Paragraf ist aber gerade in der Überarbeitung. Außerdem haben sich ja auch bei uns intern Dinge verändert, zum Beispiel weg vom Mehrbettzimmer hin zum Einzel- und Doppelzimmer.
In den nächsten Jahren soll es noch eine achte LWL-Klinik für Maßregelvollzug mit Standort in Lünen geben. Ist das ein Kompliment für den LWL, dass das Land ihm die Trägerschaft übertragen hat?
Ich glaube, das ist schon eine Anerkennung der Tatsache, dass der LWL in diesem sehr komplexen Feld über jahrzehntelange Erfahrungen verfügt und wir hier eine gute Arbeit machen.
Welcher Fall hat Sie persönlich noch lange beschäftigt?
Es gibt immer wieder Fälle, die mir im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel der Fall eines Beamten, der in Pension gegangen ist, zwei Häuser besaß und dem es eigentlich finanziell gut ging. Doch er wurde depressiv und bekam einen Verarmungswahn. Da er meinte, seiner Frau diese vermeintliche Armut nicht zumuten zu können, hat er sie umgebracht. Aus einer völligen Verkennung der Realität hinaus. Ein Mann, der mitten im Leben stand, sein ganzes Leben gearbeitet hat und den seine Krankheit dazu bringt, so was zu machen – das ist tragisch anzusehen.