Johannes Chudziak im Interview: "Der Arbeitsmarkt ist richtig offen für Menschen mit Behinderung"
Johannes Chudziak ist seit 2023 LWL-Sozialdezernent.
Herr Chudziak, Sie haben bereits einige Jahre beim LWL gearbeitet, bevor sie zur Stadt Herne wechselten. Was haben Sie in Ihrer Zeit in Herne vom LWL vermisst?
Ich habe meine Kolleginnen und Kollegen vom LWL vermisst und auch zu einigen weiterhin Kontakt gehalten. Die Aufgaben in Herne waren allerdings auch spannend und auch dort habe ich viele Menschen kennengelernt, die mir hier beim LWL fehlen.
Einerseits gibt es einen gravierenden Fachkräftemangel, anderseits würden viele Menschen mit Behinderung gerne auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Da liegt die Lösung doch auf der Hand, oder?
Wir sind tatsächlich zum ersten Mal in der Geschichte an dem Punkt, an dem man sagen kann: Der Arbeitsmarkt ist richtig offen für Menschen mit Behinderung.
Deshalb werden wir uns diesem Thema intensiv widmen. Wir werden jeden einzelnen Fall genau anschauen und sehr individuell vom einzelnen Menschen aus gucken: Was kann er und wo kann man ihn einsetzen? Und wie kann man ihn so fördern und unterstützen, dass er auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann.
Wo standen Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft 1953 – und wo stehen sie heute?
Nach den schlimmen Erfahrungen im Dritten Reich und der Euthanasie hatte man in den 1950er Jahren erst einmal einen stark beschützenden Ansatz. Menschen mit Behinderungen sollten gut untergebracht und versorgt werden. Sie wurden extrem behütet – dadurch aber auch von der Gesellschaft isoliert.
Wollte man sie vielleicht sogar verstecken?
Soweit ich das in der historischen Perspektive bewerten kann, war es schon so, dass man die Menschen auch bewusst ein bisschen unter sich gehalten hat, damit die Gesellschaft sie gar nicht so wahrnimmt.
Über die Jahrzehnte und gerade auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Situation aber deutlich verbessert. Menschen mit Behinderung sind mittlerweile Teil der Gesellschaft und sollten möglichst gleichberechtigt in der Gesellschaft leben können. Das Thema Inklusion ist in der Gesellschaft angekommen.
Wir sind schon sehr weit gekommen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung – in der Praxis gibt es aber immer noch viele Hürden zu nehmen.
In welchen drei Themen muss der Landschaftsverband in den nächsten sieben Jahren am meisten tun?
Ich glaube, wir müssen als Träger von sozialen Leistungen noch wahrnehmbarer werden. Wir müssen klarmachen, dass der LWL im städtischen Haushalt nicht nur eine große Haushaltsposition ist, sondern, dass er fachlich zum Sozialsystem gehört.
Dafür sollte der LWL auch in den Städten und Kreisen präsenter werden, zum Beispiel indem er regelmäßig an den Sozialausschüssen in den Mitgliedskörperschaften teilnimmt.
Darüber hinaus werden wir auch in Zukunft die Menschen mit Behinderung in der Inklusion begleiten und versuchen, dem Idealbild der UN-Behindertenrechtskonvention möglichst nahezukommen.
Und was uns auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten begleiten wird, ist die Frage des Geldes: Ist die Finanzierung, die sehr stark auf den Schultern der Kommunen liegt, noch richtig? Vermutlich wird die Finanzierung mit der Hauptlast auf den kommunalen Schultern auf Dauer so nicht funktionieren.
Sind die Landschaftsverbände zu weit entfernt von den wirklichen Problemen der Städte und Kreise?
Nein, wir haben alle ein gemeinsames Problem: Wir hängen alle am selben Finanztopf und haben unterm Strich insgesamt zu wenig.
Die Kommunen haben ihre Herausforderungen vor Ort – angefangen bei marodem Gebäudebestand, über Straßen, über Kitas und Schulgebäude. Unsere Herausforderung ist unter anderem die Organisation der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Da muss man einfach sagen: Wir leben gemeinsam in einem unterfinanzierten System, und jeder muss auf seiner Ebene die anstehenden Probleme lösen.
Wir sollten da keinen Keil zwischen uns treiben lassen. Schließlich haben wir ein gemeinsames Ziel: Wir wollen dafür sorgen, dass es den Menschen in Westfalen-Lippe möglichst gut geht.